Pressemitteilung
Supermassereiches Schwarzes Loch wird durch kosmische Qualle gefüttert
MUSE-Instrument der ESO am VLT entdeckt neuen Antrieb für Schwarze Löcher
16. August 2017
Beobachtungen von „Quallengalaxien“ mit dem Very Large Telescope der ESO haben einen bisher unbekannten Mechanismus enthüllt, wie supermassereiche Schwarze Löcher angetrieben werden können. Quallengalaxien verdanken ihren Spitznamen ihrem Erscheinungsbild, da sie „Tentakel“ aus Gas hinter sich herziehen, in denen rege Sternentstehung stattfindet. Derselbe Mechanismus, der für diese Tentakel verantwortlich ist, scheint auch dafür zu sorgen, dass Gas in die zentralen Regionen von Galaxien gelangt, wo Schwarze Löcher nur darauf warten, das Gas zu verschlingen. Die Ergebnisse sind heute in der Fachzeitschrift Nature erschienen.
Ein Astronomenteam unter italienischer Leitung hat mit dem Instrument MUSE (Multi-Unit Spectroscopic Explorer) am Very Large Telescope (VLT) am Paranal-Observatorium der ESO in Chile untersucht, wie Gas aus Galaxien entkommen kann. Dabei konzentrierten sie sich auf besonders ausgeprägte Quallengalaxien in nahen Galaxienhaufen, deren tentakelartige Schweife aus Materie, nach denen sie benannt sind, sich jenseits der galaktischen Scheiben über zehntausende Lichtjahre erstrecken [1][2].
Die Tentakel von Quallengalaxien entstehen in Galaxienhaufen durch einen Prozess, der als Ram Pressure Stripping bezeichnet wird. Durch die gegenseitige gravitative Anziehung fallen Galaxien mit großer Geschwindigkeit in den Galaxienhaufen hinein, wo sie auf heißes, dichtes Gas treffen, das wie ein kräftiger Wind wirkt, wodurch Schweife aus Gas jenseits der Galaxienscheibe entstehen, in denen anschließend explosionsartig Sternentstehung stattfindet.
In sechs von sieben Quallengalaxien, die man untersucht hat, fanden die Forscher ein supermassereiches Schwarzes Loch im Zentrum, das von dem umgebenden Gas gefüttert wird [3]. Dieser Anteil ist unerwartet hoch – generell beträgt er in Galaxien weniger als eins zu zehn.
„Diese starke Verbindung zwischen Ram Pressure Stripping und aktiven Schwarzen Löchern wurde nicht vorhergesagt und auch nie zuvor berichtet“, erzählt Teamleiterin Bianca Poggianti vom INAF-Astronomocial Observatory of Padova in Italien. „Es scheint, als werde das Schwarze Loch mit einem Teil des Gases gefüttert, da es das Galaxienzentrum erreicht, anstatt aus der Galaxie zu entkommen.“
Eine seit langem ungelöste Frage ist, warum nur ein kleiner Teil an supermassereichen Schwarzen Löchern in den Zentren von Galaxien aktiv sind. Supermassereiche Schwarze Löcher gibt es in fast allen Galaxien, doch bislang ist unklar, warum nur ein paar wenige von ihnen Materie akkretieren und dadurch hell leuchten. Die Ergebnisse dieser Untersuchung enthüllen nun einen bisher unbekannten Mechanismus, durch den Schwarze Löcher gefüttert werden können.
Yara Jaffé, eine ESO-Stipendiatin, die an dem Fachartikel mitwirkte, erklärt die Bedeutsamkeit der Entdeckung: „Diese MUSE-Beobachtungen deuten auf einen bisher unbekannten Mechanismus hin, der Gas wie durch einen Trichter in Richtung des Schwarzen Lochs strömen lässt. Dieses Ergebnis ist von großer Bedeutung, da es ein neues Puzzleteil in der bisher nur teilweise verstandenen Verbindung zwischen supermassereichen Schwarzen Löchern und ihrer Muttergalaxie darstellt.“
Die aktuellen Beobachtungen sind Teil einer noch größer angelegten Untersuchung einiger weiterer Quallengalaxien, die derzeit läuft.
„Die Studie wird, sobald sie abgeschlossen ist, zeigen, wie viele und welche gasreichen Galaxien, die in einen Galaxienhaufen gelangen, eine Periode erhöhter Aktivität in ihren Kernen durchlaufen“, meint Poggianti. „Ein Rätsel in der Astronomie war seit jeher, wie Galaxien in unserem expandierenden und sich entwickelnden Universum entstehen und sich verändern. Quallengalaxien sind der Schlüssel zum Verständnis von der Entwicklung von Galaxien, da sie sich inmitten eines dramatischen Veränderungsprozesses befinden.“
Endnoten
[1] Bisher wurden knapp über 400 Kandidaten für Quallengalaxien gefunden.
[2] Die Ergebnisse sind im Rahmen eines Beobachtungsprogramms namens GASP (GAs Stripping Phenomena in galaxies with MUSE) entstanden, einem ESO-Großprojekt, das zum Ziel hat, zu untersuchen, wo, wie und warum Gas aus Galaxien gelangen kann. GASP produziert detaillierte MUSE-Daten für 114 Galaxien in verschiedenen Umgebungen, insbesondere Quallengalaxien. Beobachtungen sind derzeit im Gange.
[3] Es ist allgemein bekannt, dass sich in fast jeder, wenn nicht sogar jeder, Galaxie ein supermassereiches Schwarzes Loch im Zentrum befindet, mit Massen zwischen ein paar Millionen bis ein paar Milliarden Sonnenmassen. Wenn ein Schwarzes Loch Materie aus der Umgebung akkretiert, erhitzt sich die Materie und emittiert elektromagnetische Strahlung, wodurch eines der energetischsten astrophysikalischen Phänomene entsteht: aktive Galaxienkerne (engl. active galactic nucleus, kurz AGN).
[4] Das Team untersuchte auch die alternative Erklärung, dass die zentrale AGN-Aktivität dazu beiträgt, dass Gas aus den Galaxien entkommen kann, allerdings ist das weniger wahrscheinlich. Im Inneren des Galaxienhaufens befinden sich die Quallengalaxien in einer Zone, in der durch das heiße, dichte Gas des intergalaktischen Mediums mit besonders hoher Wahrscheinlichkeit die langen Galaxiententakel entstehen, womit es unwahrscheinlich ist, dass sie durch eine hohe AGN-Aktivität entstanden sind. Es spricht also mehr dafür, dass der Staudruck die Aktivität der Galaxienkerne verursacht und nicht umgekehrt, was bedeutet, dass Schwarze Löcher durch diesen Mechanismus gefüttert werden.
Weitere Informationen
Die hier vorgestellten Ergebnisse von B. Poggianti et al. erscheinen am 17. August 2017 unter dem Titel „Ram Pressure Feeding Supermassive Black Holes ” in der Fachzeitschrift Nature.
Die beteiligten Wissenschaftler sind B. Poggianti (INAF-Astronomical Observatory of Padova, Italien), Y. Jaffé (ESO, Chile), A. Moretti (INAF-Astronomical Observatory of Padova, Italien), M. Gullieuszik (INAF-Astronomical Observatory of Padova, Italien), M. Radovich (INAF-Astronomical Observatory of Padova, Italien), S. Tonnesen (Carnegie Observatory, USA), J. Fritz (Instituto de Radioastronomía y Astrofísica, Mexiko), D. Bettoni (INAF-Astronomical Observatory of Padova, Italien), B. Vulcani (University of Melbourne, Australien; INAF-Astronomical Observatory of Padova, Italien), G. Fasano (INAF-Astronomical Observatory of Padova, Italien), C. Bellhouse ((University of Birmingham, Großbritannien; ESO, Chile), G. Hau (ESO, Chile) und A. Omizzolo (Vatikansternwarte, Vatikanstadt).
Die Europäische Südsternwarte (engl. European Southern Observatory, kurz ESO) ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation durch 16 Länder: Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz und die Tschechische Republik. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO verfügt über drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Chile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf dem Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts und zwei Teleskope für Himmelsdurchmusterungen: VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt, arbeitet im Infraroten, während das VLT Survey Telescope (VST) für Himmelsdurchmusterungen ausschließlich im sichtbaren Licht konzipiert ist. Die ESO ist einer der Hauptpartner bei ALMA, dem größten astronomischen Projekt überhaupt. Auf dem Cerro Armazones unweit des Paranal errichtet die ESO zur Zeit das Extremely Large Telescope (ELT) mit 39 Metern Durchmesser, das einmal das größte optische Teleskop der Welt werden wird.
Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsländern (und einigen weiteren Staaten) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie in Heidelberg.
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Kontaktinformationen
Bianca Poggianti
INAF-Astronomical Observatory of Padova
Padova, Italy
Tel: +39 340 7448663
E-Mail: bianca.poggianti@oapd.inaf.it
Richard Hook
ESO Public Information Officer
Garching bei München, Germany
Tel: +49 89 3200 6655
Mobil: +49 151 1537 3591
E-Mail: rhook@eso.org
Joerg Gasser (Pressekontakt Schweiz)
ESO Science Outreach Network
E-Mail: eson-switzerland@eso.org
Über die Pressemitteilung
Pressemitteilung Nr.: | eso1725de-ch |
Name: | Galaxies, Galaxy cluster |
Typ: | Local Universe : Galaxy |
Facility: | Very Large Telescope |
Instruments: | MUSE |
Science data: | 2017Natur.548..304P |
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