Pressemitteilung
Planeten so weit das Auge reicht
Planeten um andere Sterne sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel
11. Januar 2012
Ein internationales Astronomenteam, dem auch drei Mitarbeiter der Europäischen Südsternwarte (ESO) angehören, hat mithilfe des Mikrogravitationslinseneffektes ergründet, wie häufig Planeten in unserer Milchstraße vorkommen. Nach ihrer sechs Jahre währenden Suche bei mehreren Millionen Sternen kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass die Existenz von Planeten um andere Sterne nicht die Ausnahme sondern der Normalfall ist. Die Ergebnisse ihrer Studie erscheinen am 12. Januar 2012 in der Fachzeitschrift Nature.
Während der vergangenen 16 Jahre haben Astronomen die Existenz von mehr als 700 Exoplaneten bestätigen können [1] und sogar schon damit begonnen, die Spektren (eso1002) und Atmosphären (eso1047) dieser fernen Welten zu erforschen. Natürlich sind solche Untersuchungen einzelner Objekte von unschätzbarem Wert für die Exoplanetenforschung. Eine der entscheidenden Fragen ist aber nach wie vor offen: Wie häufig sind Planeten eigentlich in unserer Milchstraße?
Der Großteil der heute bekannten Exoplaneten wurde entweder durch die gravitative Anziehungskraft des Planeten auf seinen Mutterstern oder durch die winzige Abschwächung des Sternlichts entdeckt, die zustande kommt, wenn ein Planet auf seiner Umlaufbahn von der Erde aus gesehen direkt vor dem Stern vorbeiläuft. Beide Techniken weisen bevorzugt Planeten nach, die massereicher sind, nur einen geringen Abstand zum Stern haben oder sogar beides. Viele Exoplaneten werden bislang übersehen, da sie unterhalb der Nachweisgrenze dieser Methoden liegen.
Ein internationales Astronomenteam, dem auch mehrere Forscher der Arbeitsgruppe von Joachim Wambsganß vom Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH) angehören, hat mit einer völlig anderen Methode nach Exoplaneten gefahndet, die auch solche Planeten nachweisen kann, die einen größeren Abstand zum Stern haben und über einen großen Massebereich verteilt sind. Die Methode nutzt den so genannten Mikrogravitationslinseneffekt.
Arnaud Cassan, ehemaliger ZAH-Mitarbeiter und inzwischen am Institut dʼAstrophysique de Paris tätig, ist der Erstautor des Fachartikels in der Zeitschrift Nature, in dem die Ergebnisse der Studie nun präsentiert werden. "Wir haben in den Daten aus sechs Jahren Beobachtungszeit nach Hinweisen auf Mikrogravitationslinsenereignisse von Exoplaneten gesucht. Tatsächlich hat sich dabei herausgestellt, dass Planeten in unserer Milchstraße häufiger vorkommen als Sterne. Außerdem sind kleine Planeten wie die so genannten Supererden oder kühle, neptunähnliche Planeten offenbar zahlreicher als ihre massereicheren großen Brüder", erklärt er. Die Ergebnisse basieren zu einem großen Teil auf Arbeiten, die Cassan während seiner Zeit in Heidelberg durchgeführt hat.
Für ihre Studie nutzten die Wissenschaftler Daten der Kampagnen PLANET [2] und OGLE [3], in deren Rahmen Exoplaneten über den Effekt nachgewiesen werden, den ihr Gravitationsfeld zusammen mit dem Gravitationsfeld ihres Muttersterns auf das Licht im Hintergrund liegender Sterne ausübt. Stern und Planet wirken dabei wie eine Linse, die die Helligkeit des Hintergrundsterns einige Tage lang verstärkt. Der Verlauf der Helligkeitsänderung hat eine sehr charakteristische Form, dabei ist der Einfluss des Planeten oft nur für einige Stunden messbar.
Jean-Philippe Beaulieu vom Institut d'Astrophysique de Paris, Leiter der PLANET-Kollaboration, fügt hinzu: "Wir haben die PLANET-Kollaboration eingerichtet, um vielversprechende Mikrogravitationslinsenereignisse mit einem Netzwerk aus Teleskopen verfolgen zu können, die über die ganze Südhalbkugel der Erde verteilt sind – von Australien über Südafrika bis nach Chile. Die Teleskope der ESO haben dabei eine sehr wichtige Rolle gespielt.”
Die Mikrogravitationslinsen-Methode ist ein besonders nützliches astronomisches Werkzeug, mit dessen Hilfe sich auch Exoplaneten nachweisen lassen, die mit herkömmlichen Methoden nicht aufzuspüren sind. Damit der Effekt überhaupt beobachtbar ist, müssen der als Linse fungierende Stern und der Hintergrundstern allerdings exakt auf einer Sehlinie liegen – und so etwas tritt nur sehr selten auf. Soll bei einem solchen Ereignis auch noch ein Planet um den Linsenstern eine Rolle spielen, muss auch dessen Umlaufbahn genau richtig orientiert sein. “Es ist wie die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen: Wir müssen die Helligkeit von ein paar Millionen Sternen mehrmals pro Woche messen, um ein einziges stellares Mikrogravitationslinsenereignis zu beobachten. Und selbst wenn alle so entdeckten Sterne einen Planeten haben, zeigt sich der Planet in weniger als einem Prozent dieser Lichtkurven”, erläutert Wambsganß.
Aus diesem Grund ist der Nachweis von Exoplaneten über den Mikrogravitationslinseneffekt alles andere als einfach. Dennoch gelang es, mit den Daten der sechsjährigen Beobachtungskampagnen von PLANET und OGLE gleich drei Planeten nachzuweisen: eine Supererde [4] und jeweils einen Planeten mit Massen vergleichbar zu denen von Jupiter und Neptun. Bezogen auf die Rate von Mikrogravitationslinsenereignissen insgesamt ist das eine reiche Ausbeute. Entweder hatten die Astronomen mit den drei Planeten ungeheures Glück oder aber Planeten sind in unserer Milchstraße so häufig, dass eine solch hohe Anzahl an Detektionen unvermeidlich war [5].
Das Forscherteam kombinierte die Daten der drei gefundenen Planeten mit denen von sieben weiteren Exoplaneten, die ebenfalls über den Mikrogravitationslinseneffekt entdeckt worden waren, und mit der großen Zahl von Sternen, bei denen während der sechs Jahre kein solches Ereignis nachgewiesen werden konnte. Diese (um Größenordnungen zahlreicheren!) Nicht-Detektionen sind für die statistische Analyse genauso wichtig wie die entdeckten Planeten. Aus diesen Berechnungen lässt sich darauf schließen, dass in etwa jeder sechste Stern von einem Planeten mit ungefähr einer Jupitermasse umkreist werden dürfte. Etwa die Hälfte aller Sterne sollten Planeten mit einer Neptunmasse haben, und zwei Drittel Begleiter von der Größe einer Supererde. Die Studie erfasst Planeten, deren Abstände von ihrem Stern 75 Millionen bis 1,5 Milliarden Kilometer betragen (das entspricht in unserem Sonnensystem dem Bereich von der Venus bis zum Saturn) und deren Massen von fünf Erdmassen bis zur zehnfachen Jupitermasse reichen.
Die Resultate deuten klar darauf hin, dass Sterne durchschnittlich von mehr als einem Planeten begleitet werden. Planeten um andere Sterne sind nicht länger die Ausnahme, sondern die Regel. “Früher ging man davon aus, dass die Erde in unserer Heimatgalaxie einzigartig sein könnte. Jetzt sieht es eher danach aus, als gäbe es in der Milchstraße Milliarden von Planeten mit einer Masse ähnlich der der Erde”, schließt Daniel Kubas, der Zweitautor des Fachartikels.
Endnoten
[1] Der Kepler-Satellit hat große Mengen an Exoplanetenkandidaten entdeckt, die in dieser Zahl nicht enthalten sind.
[2] PLANET steht für „Probing Lensing Anomalies NETwork“. Über die Hälfte der Daten der PLANET-Durchmusterung aus dieser Studie stammen vom dänischen 1,54-Meter-Teleskop am La-Silla-Observatorium der ESO.
[3] OGLE steht für „Optical Gravitational Lensing Experiment“.
[4] Eine Supererde hat eine Masse zwischen zwei und zehn Erdmassen. Insgesamt hat man bis heute 12 Exoplaneten mit Hilfe der Mikrogravitationslinsenmethode entdeckt.
[5] Die Astronomen haben mehrere Millionen Sterne auf Mikrogravitationslinsenereignisse hin untersucht. Solche Ereignisse sind so selten, dass von 2002 bis 2007 nur 3247 davon beobachtet wurden. Die statistische Analyse basiert auf einem repräsentativen Datensatz von Detektionen und Nicht-Detektionen aus 440 Lichtkurven.
Weitere Informationen
Die hier vorgestellten Forschungsergebnisse von A. Cassan et al. werden in der Ausgabe vom 12. Januar 2012 unter dem Titel “One or more bound planets per Milky Way star from microlensing observations” in der Fachzeitschrift Nature erscheinen.
Die beteiligten Wissenschaftler sind A. Cassan (Institut dʼAstrophysique de Paris, Frankreich [IAP]; Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg [ZAH]; ESO), D. Kubas (IAP), J.-P. Beaulieu (IAP), M. Dominik (University of St Andrews, Großbritannien), K. Horne (University of St Andrews), J. Greenhill (University of Tasmania, Australien), J. Wambsganß (ZAH), J. Menzies (South African Astronomical Observatory), A. Williams (Perth Observatory, Australien), U. G. Jørgensen (Niels Bohr Institute, Kopenhagen, Dänemark), A. Udalski (Warsaw University Observatory, Polen), M. D. Albrow (University of Canterbury, Neuseeland), D. P. Bennett (University of Notre Dame, Notre Dame, USA), V. Batista (IAP), S. Brillant (ESO), J. A. R. Caldwell (McDonald Observatory, Fort Davis, USA), A. Cole (University of Tasmania), Ch. Coutures (IAP), K. Cook (Lawrence Livermore National Laboratory, USA), S. Dieters (University of Tasmania), D. Dominis Prester (University of Rijeka, Kroatien), J. Donatowicz (Technische Universität Wien, Österreich), P. Fouqué (Université de Toulouse, Frankreich), K. Hill (University of Tasmania), N. Kains (ESO), S. Kane (NASA Exoplanet Science Institute, Caltech, USA), J.-B. Marquette (IAP), K. R. Pollard (University of Canterbury, Neuseeland), K. C. Sahu (STScI, Baltimore, USA), C. Vinter (Niels Bohr Institute), D. Warren (University of Tasmania), B. Watson (University of Tasmania), M. Zub (ZAH), T. Sumi (Nagoya University, Japan), M. K. Szymański (Warsaw University Observatory), M. Kubiak (Warsaw University Observatory), R. Poleski (Warsaw University Observatory), I. Soszynski (Warsaw University Observatory), K. Ulaczyk (Warsaw University Observatory), G. Pietrzyński (Warsaw University Observatory) und Ł. Wyrzykowski (Warsaw University Observatory).
Im Jahr 2012 feiert die Europäische Südsternwarte ESO (European Southern Observatory) das 50-jährige Jubiläum ihrer Gründung. Die ESO ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation durch ihre 15 Mitgliedsländer: Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz, die Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO betreibt drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Nordchile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf dem Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts und zwei Teleskope für Himmelsdurchmusterungen: VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt, arbeitet im Infraroten, während das VLT Survey Telescope (VST) für Himmelsdurchmusterungen ausschließlich im sichtbaren Licht konzipiert ist. Die ESO ist der europäische Partner für den Aufbau des Antennenfelds ALMA, das größte astronomische Projekt überhaupt. Derzeit entwickelt die ESO ein Großteleskop der 40-Meter-Klasse für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren und Infrarotlichts, das einmal das größte optische Teleskop der Welt werden wird, das European Extremely Large Telescope (E-ELT).
Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsstaaten (und einigen weiteren Ländern) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie in Heidelberg.
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Über die Pressemitteilung
Pressemitteilung Nr.: | eso1204de |
Name: | Exoplanets, Gravitational Microlensing, Milky Way |
Typ: | Milky Way : Cosmology : Phenomenon : Lensing |
Facility: | Danish 1.54-metre telescope, MPG/ESO 2.2-metre telescope, Very Large Telescope |
Instruments: | NACO, WFI |
Science data: | 2012Natur.481..167C |