Pressemitteilung
ALMA lokalisiert frühe Galaxien in Rekordgeschwindigkeit
17. April 2013
Ein Astronomenteam mit starker Beteiligung deutscher Forschungsinstitute hat mit dem neuen Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) die Positionen von über 100 Galaxien im frühen Universum genau bestimmt, in denen besonders viele Sterne entstanden sind. ALMA war in der Lage innerhalb weniger Stunden so viele dieser Galaxien zu beobachten, wie von allen vergleichbaren Teleskopen weltweit in einem Zeitraum von mehr als einem Jahrzehnt aufgenommen wurden.
Die ertragreichsten Ausbrüche von Sternentstehung im frühen Universum fanden in weit entfernten Galaxien statt, die viel kosmischen Staub enthielten. Diese Galaxien sind von zentraler Bedeutung für unser Verständnis der Entstehung von Galaxien und deren Entwicklung im Laufe der Geschichte unseres Universums. Leider sind sie hinter kosmischem Staub verborgen und sind daher schwer mit Teleskopen im sichtbaren Licht zu beobachten. Um solche Galaxien zu identifizieren, muss man Observatorien wie ALMA nutzen, die Licht bei längeren Wellenlängen - und zwar von etwa einem Millimeter - beobachten.
„Astronomen haben über ein Jahrzehnt auf Daten wie diese gewartet. ALMA ist so leistungsstark, dass es die Methode wie wir diese Galaxien beobachten revolutioniert hat, und das obwohl das Teleskop noch gar nicht vollkommen fertiggestellt war, als die entsprechenden Beobachtungen gemacht wurden", erläutert Jacqueline Hodge vom Max-Planck-Institut für Astronomie, die Erstautorin des Fachartikels über die neuen ALMA-Beobachtungen.
Die bislang beste Karte dieser entfernten, staubreichen Galaxien stammte vom Atacama Pathfinder Experiment (APEX), das von der ESO betrieben wird. Sie erfasst ein Gebiet von etwa der Größe des Vollmondes am Himmel [1] und zeigt 126 solcher Galaxien. Allerdings erschien auf den APEX-Bildern jeder Ausbruch von Sternentstehung als ein relativ verschwommener Fleck, der so groß sein konnte, dass mehr als eine der Galaxien, die auf schärferen Bildern zu sehen waren, die in anderen Wellenlängen aufgenommen worden waren, dazu passen könnte. Ohne zu wissen zu welchen dieser Galaxien die Sternentstehungsgebiete gehörten, waren Astronomen bei der Erforschung der Sternentstehung im frühen Universum stark eingeschränkt.
Um die richtigen Galaxien zu lokalisieren, bedurfte es schärferer Aufnahmen, und für schärfere Aufnahmen benötigt man größere Teleskope. Die Antennenschüssel von APEX hat einen Durchmesser von 12 Metern. Der Teleskopverbund von ALMA nutzt allerdings gleich mehrere APEX-ähnliche Antennenschüsseln, die über weite Strecken verteilt sind. Die Signale all dieser Antennen werden vereint, wodurch man in Bezug auf die Schärfe effektiv ein riesiges Teleskop erhält, das so groß wie die gesamte Antennenanlage ist.
Im Rahmen von ALMAs erster wissenschaftlicher Beobachtungsphase, während der sich das Teleskop noch im Aufbau befand, haben die Astronomen die Galaxien von der APEX-Karte untersucht. Dabei wurden weniger als ein Viertel der insgesamt 66 Antennen genutzt, die über eine Entfernung von bis zu 125 Meter verteilt sind. Mit einer im Vergleich zu APEX dreimal höheren Empfindlichkeit benötigte ALMA lediglich zwei Minuten pro Galaxie, um jede von ihnen innerhalb eines winzigen Gebiets genau zu lokalisieren, das 200 mal kleiner als die großen Flecken der APEX-Messungen ist. ALMA ist so viel empfindlicher als andere Teleskope seiner Art, dass es innerhalb weniger Stunden die Gesamtzahl solcher Beobachtungen, die jemals gemacht wurden, verdoppelte.
Das Astronomenteam konnte nicht nur eindeutig bestimmen, welche der Galaxien aktive Sternentstehungsregionen aufwiesen, sondern stellten in mehr als der Hälfte der Fälle fest, dass mehrere Galaxien mit Sternentstehungsgebieten in früheren Beobachtungen zu einem Fleck vermischt wurden. ALMAs Auflösiungsvermögen ermöglichte es ihnen, diese Galaxien räumlich getrennt zu beobachten.
„Bislang sind wir davon ausgegangen, dass die hellsten dieser Galaxien tausend Mal höhere Sternentstehungsraten aufweisen als unsere Heimatgalaxie, die Milchstraße. Demnach bestünde die Möglichkeit, dass sie sich dabei selbst zerstören, indem sie auseinanderfliegen. Die Bilder von ALMA haben dagegen mehrere kleinere Galaxien mit vernünftigeren Sternentstehungsraten sichtbar gemacht", ergänzt Alexander Karim von der Durham University in Großbritannien, ein Mitglied des Teams und Erstautor einer zweiten, begleitenden Veröffentlichung zu diesem Thema.
Die Ergebnisse bilden den ersten statistisch verlässlichen Katalog von staubigen Galaxien mit Sternentstehung im frühen Universum und stellen eine entscheidende Grundlage für weitere Untersuchungen von Eigenschaften dieser Galaxien bei anderen Wellenlängen dar, ohne Missinterpretationen aufgrund von nicht aufgelösten Abbildungen der Galaxien zu riskieren.
Trotz ALMAs hervorragendem Auflösungsvermögen und seiner konkurrenzloser Empfindlichkeit, kommt Teleskopen wie APEX immer noch eine wichtige Rolle zu. „APEX kann ein größeres Gebiet am Himmel schneller durchsuchen als ALMA und ist somit ideal um solche Galaxien zu entdecken. Wenn wir erst einmal wissen wo wir suchen müssen, können wir sie mithilfe von ALMA dann genau lokalisieren", schließt Ian Smail von der Durham University, einer der Koautoren des Fachartikels.
Endnoten
[1] Die Beobachtungen hatten ein Gebiet des südlichen Sternbilds Fornax (der chemische Ofen) zum Ziel, das sogenannte Chandra Deep Field South. Es wurde schon mit vielen Teleskopen untersucht, sowohl vom Erdboden als auch vom Weltall aus. Die neuen ALMA-Beobachtungen rweitern die tiefen und hochaufgelösten Beobachtungen dieser Region in den Millimeter-/Sub-Millimeterbereich des elektromagenitschen Spektrums und ergänzen so die früheren Beobachtungen.
Weitere Informationen
Das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) ist eine internationale astronomische Einrichtung, die gemeinsam von Europa, Nordamerika und Ostasien in Zusammenarbeit mit der Republik Chile getragen wird. Von europäischer Seite aus wird ALMA über die Europäische Südsternwarte (ESO) finanziert, in Nordamerika von der National Science Foundation (NSF) der USA in Zusammenarbeit mit dem kanadischen National Research Council (NRC) und dem taiwanesischen National Science Council (NSC), und in Ostasien von den japanischen National Institutes of Natural Sciences (NINS) in Kooperation mit der Academia Sinica (AS) in Taiwan. Bei Entwicklung, Aufbau und Betrieb ist die ESO federführend für den europäischen Beitrag, das National Radio Astronomy Observatory (NRAO), das seinerseits von Associated Universities, Inc. (AUI) betrieben wird, für den nordamerikanischen Beitrag und das National Astronomical Observatory of Japan (NAOJ) für den ostasiatischen Beitrag. Dem Joint ALMA Observatory (JAO) obliegt die übergreifende Projektleitung für den Aufbau, die Inbetriebnahme und den Beobachtungsbetrieb von ALMA.
Das Atacama-Pathfinder-Experiment (APEX) ist ein Gemeinschaftsprojekt an dem das Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) zu 50%, das Onsala Space Observatory (OSO) zu 23% und die Europäische Südsternwarte zu 27% beteiligt ist.
Die hier vorgestellten Ergebnisse von J. Hodge et al. erscheinen demnächst unter dem Titel "An ALMA Survey of Submillimeter Galaxies in the Extended Chandra Deep Field South: Source Catalog and Multiplicity” im Astrophysical Journal.
Die begleitende Veröffentlichung “An ALMA survey of submillimetre galaxies in the Extended Chandra Deep Field South: High resolution 870 μm source counts”von A. Karim et al. über die Multiplizität der Quellen erscheint in den Monthly Notices of the Royal Astronomical Society.
Die beteiligten Wissenschaftler sind J. A. Hodge (Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg, [MPIA]), A. Karim (Institute for Computational Cosmology, Durham University, Großbritannien), I. Smail (Durham), A. M. Swinbank (Durham), F. Walter (MPIA), A. D. Biggs (ESO), R. J. Ivison (UKATC and Institute for Astronomy, University of Edinburgh, Großbritannien), A. Weiss (Max–Planck Institut für Radioastronomie, Bonn), D. M. Alexander (Durham), F. Bertoldi (Argelander-Institut für Astronomie, Bonn University), W. N. Brandt (Institute for Gravitation and the Cosmos & Department of Astronomy & Astrophysics, Pennsylvania State University, University Park, USA), S. C. Chapman (Institute of Astronomy, University of Cambridge, Großbritannien; Department of Physics and Atmospheric Science, Dalhousie University, Halifax, Großbritannien), K. E. K. Coppin (McGill University, Montreal, Kanada), P. Cox (IRAM, Saint–Martin d’Héres, Frankreich), A. L. R. Danielson (Durham), H. Dannerbauer (Universität Wien, Österreich), C. De Breuck (ESO), R. Decarli (MPIA), A. C. Edge (Durham), T. R. Greve (University College London, Großbritannien), K. K. Knudsen (Department of Earth and Space Sciences, Chalmers University of Technology, Onsala Space Observatory, Schweden), K. M. Menten (Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn), H.–W. Rix (MPIA), E. Schinnerer (MPIA), J. M. Simpson (Durham), J. L. Wardlow (Department of Physics & Astronomy, University of California, Irvine, USA) und P. van der Werf (Sterrewacht Leiden, Niederlande).
Die Europäische Südsternwarte ESO (European Southern Observatory) ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation durch ihre 15 Mitgliedsländer: Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz und die Tschechische Republik. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO betreibt drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Nordchile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf dem Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts und zwei Teleskope für Himmelsdurchmusterungen: VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt, arbeitet im Infraroten, während das VLT Survey Telescope (VST) für Himmelsdurchmusterungen ausschließlich im sichtbaren Licht konzipiert ist. Die ESO ist der europäische Partner bei den neuartigen Verbundteleskop ALMA, dem größten astronomischen Projekt überhaupt. Derzeit entwickelt die ESO ein Großteleskop mit 39 Metern Durchmesser für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren und Infrarotlichts, das einmal das größte optische Teleskop der Welt werden wird: das European Extremely Large Telescope (E-ELT).
Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsländern (und einigen weiteren Staaten) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie in Heidelberg.
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Max-Planck-Institut für Astronomie
Heidelberg, Germany
Tel: +49 6221 528 467
E-Mail: hodge@mpia.de
Alexander Karim
Institute for Computational Cosmology, Durham University
Durham, United Kingdom
Tel: +49 228 733658 (Christina Stein-Schmitz)
E-Mail: alexander.karim@durham.ac.uk
Mark Swinbank
Institute for Computational Cosmology, Durham University
Durham, United Kingdom
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E-Mail: a.m.swinbank@durham.ac.uk
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Über die Pressemitteilung
Pressemitteilung Nr.: | eso1318de-be |
Name: | Galaxies |
Typ: | Early Universe : Galaxy |
Facility: | Atacama Large Millimeter/submillimeter Array |
Science data: | 2013ApJ...768...91H |